Es trifft doch immer nur die anderen - denkste.

Kommen wir zu diesem scheißverfluchtengrausamen Tag im September 2006. 

Meine Freundin ist Radiologin und seit meinem ersten Brustkrebsverdacht 1993 war sie immer meine Mahnerin, nie die Kontrolle auszulassen. 2006 hatte ich geschoben: Meine Eltern und ich hatten runden Geburtstag, meine beiden großen Mädchen geheiratet - also Mammo musste warten, ich komme danach. Letztes Jahr war nicht einmal die obligatorische Zyste da gewesen.

Kurz nach meinem Geburtstag ging ich zur Kontrolle. Meine Freundin untersuchte mich. Schaute konzentriert wie immer, doch anders. Sie strich mir über den Arm: "Ich hole eine Kollegin." Ich sah sie an und ahnte, das ist nichts Gutes. Es dauerte nicht lange, beide setzten sich zu mir: Ich hatte Krebs. Zwei Stellen in meiner rechten Brust. Und dann sind da noch zwei, die sie nicht definieren konnten. Ich dachte nur eines: Scheiße, doch erwischt.
Meine Freundin und ich gingen wie geplant Mittag essen, aber wirklich etwas essen konnten wir nicht. Wir gingen nochmals in ihr Büro und sie empfahl mir ein Mamma- MRT, da dies zu 90 Prozent sicher sagen könne, was das da alles ist in meiner Brust. Dann fragte sie mich, wie ich nun nach Hause käme. "Wie ich her gekommen bin, U-Bahn. S-Bahn, laufen." 

Soll ich schildern, wie es rauscht, wie es so entsetzlich unwirklich ist, wenn man die Diagnose Krebs bekommt? So rums – es trifft doch immer nur andere. Wem nutzt es?

Ich erinnere mich immer wieder, wie ich so verwirrt, entsetzt, erschüttert in meinem neuen Alptraum in die U-Bahn stieg und ausgerechnet dort eine junge Frau weinend saß. Prima, dachte ich, es ist so was von normal eine Rotzblasen und Reiherschnecken heulende Frau in der U-Bahn anzutreffen. Ich setzte mich ihr notgedrungen gegenüber und kämpfte meine Tränen hinunter. Ich stellte mir vor, ich würde mit heulen, wozu ich allen Grund der Welt hätte, nur wir hätten garantiert diesen Waggon unter Wasser gesetzt.
Also blieb ich sitzen gegenüber der so traurig-weinenden Frau, innerlich schrie es in mir: „Das kann nicht wahr sein!“ und atmete tief, ruhig und zählte die Stationen, bis ich endlich aussteigen konnte. Ich war stolz, das geschafft zu haben. 

S- Bahnhof Berlin - Pankow. Hier musste ich wie immer umsteigen von der U- in die S-Bahn. Wie immer standen Leute und warteten wie immer. Und wie immer musste ich auch warten. Stand wie immer so, dass ich in den dritten Wagen dann einsteigen konnte. Die Sonne lachte, okay nicht wie immer - aber alles war normal. Stinknormal. Diese Normalität machte mir Angst. Denn ich war soeben aus dieser herausgeworfen worden. Und ich wusste nicht, wo ich landen würde. Ich sah einen S-Bahn-Zug einrollen und überlegte, ob es nicht das Klügste wäre zu springen. Vor den Zug. Plumps und Ruhe. Keine Angst, kein Leiden - jetzt noch und weg. Ich sah den Fahrer des Zuges. Die Leute, einige Zeitung lesend. Die müssten das ertragen. Vor allem der Fahrer. Nee. Da gibt es elegantere Lösungen und ich hab dafür noch Zeit. Brustkrebs ist kein 100% Todesurteil. Es heißt: Schwere Zeit, kämpfen und vielleicht gewinnen. Ich nahm in diesem Moment das an, in den zehntel Sekunden, die die S-Bahn in den Bahnhof rollte. Ich wollte nicht alle meine Träume aufgeben. Ich wollte wenigstens einige leben. Ich will leben.

Ich stieg in die S-Bahn. Zuhause angekommen klingelte mein Telefon. Meine Freundin. Ich hörte sie aufatmen, dass ich zu Hause angekommen war. Ich teilte ihr meinen Entschluss mit, wollte sie trösten.
Meine jüngste damals 13jährige Tochter lag krank im Bett, als ich nach hause kam. Ich hatte in der S-Bahn beschlossen, nicht drumherum zu reden: Mit einer Schleife herum ist Krebs trotzdem Krebs. Nutzt nichts. Nein, ich wollte offen damit umgehen. Vielleicht wäre es so erträglicher. Für mich und all die Menschen, die ich mit dieser Diagnose schocken musste.
Also ging ich an ihr Bett heran, sagte:" Das ist heute nicht gut ausgegangen." 
"Du hast Krebs?"
"Ja."
Sie schaute mich an, schwieg einen kurzen Moment und sagte :"Mama, du machst das wie Lance, ja." 
Ich musste schmunzeln:" Wenn du dann nicht erwartest, dass ich die Tour de France mehrmals gewinne oder Weltmeisterin im Speerwurf werde, dann ja." Sie grinste. Damit war alles gesagt.
Meine älteste Tochter rief an, sie hatte die ganze Zeit ein unruhiges Gefühl. Was ich ihr glaube, denn sie rief nicht jedes Mal an, wenn ich zur Mammografie war. "Mama, ich hab es geahnt. Aber du schaffst es, ich spüre das. Du wirst gesund." Ich hoffte auf ihren "Animus", er wurde einer der Strohhalme, an die ich mich klammern konnte.

Die Nacht wurde die schlimmste meines bisherigen Lebens. Ich bekam nicht nur Angst - ich bekam Panik. Dass ich es doch nicht schaffe und meine Tochter mit 13 oder 14 Jahren allein lassen muss. Ich lief, nein ich irrte durch das Haus. Schaltete den Fernseher ein. Half nicht. Musik ließ alles nur noch schlimmer werden. Niemand da, der mich halten konnte, der mich vor diesem Abgrund zurück hielt, der näher und näher kam. Ich wollte schreien, rennen - weg, weg, wach werden aus diesem Alptraum. Doch mein Kind schlief nebenan, meine doch noch kleine tapfere Tochter, die noch so viel erleiden muss mit mir. Nein, ich darf nicht schreien. Ich musste einen anderen Weg finden!
Ich schaltete meinen Computer ein. Schließlich schrieb ich an einen Fernsehpsychologen eine Email. Ich musste was sagen können, es musste raus. Ich drohte zu ersticken. Klick und ab. Einige Tage später bekam ich von ihm den Tipp, mir einen Psychologen zu suchen. Klasse, bei den Wartezeiten. 
Nie wieder in diesen Abgrund. Das hatte ich mir am Tage gesagt. Nie wieder, denn dort heraus zu kommen kostete die Kraft, die ich gegen den Krebs brauchte.
Ja, ich hatte Angst. Und alles Recht der Welt dazu. Aber keine lähmende Angst.
Ich besann mich: Ich kann nur gewinnen, wenn ich physisch und psychisch stark bin. Und ich weiß, dass ich das kann - ich werde meinen Ausdauersport steigern. Für mich. Für mein Leben.
Ich nahm mein Fahrrad und begann Kilometer "zu machen" und damit Grenzen zu verschieben. Nun erst recht!

Ich fuhr Rad.Jeden Tag, viele Stunden. Und ich fiel in kein Loch mehr.
Ich entdeckte das Nordic Walken für mich. Stundenlang lief ich durch die Gegend. Laufe mir damit noch heute die Seele frei, laufe mir Mut an, laufe laufe.

Ich musste lange auf den MRT-Befund warten. Ich lief. "Ich schaffe das!  Ich lasse mich doch nicht unterkriegen. Nicht jetzt! Ich werde auch mit Krebs durchstarten."



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