Mit
M., sie war mitten in der Chemotherapie, walkte ich durch den Schloßpark. Wir treffen uns dort, weil es Bänke zum Ausruhen gibt,
die wir dafür selten nutzen, eher als Zielvorgabe, weil es Toiletten
gibt und die Möglichkeit, notfalls die Erste-Hilfe zu rufen, was
noch nie notwendig war. Das zur Erläuterung.
Wir walkten also mit
unseren Stöcken durch den Oranienburger Schloßpark. M. mit Tupfern in der Nase, da
aufgrund der Chemo ihre Nase mitunter lief wie ein Wasserfall und das
Naseputzen mit den Stöcken in den Händen doch sehr umständlich
war. Sie zog energisch los und blieb urplötzlich stehen. Ich
stockte, hatte ich sie überfordert? „Ist was? Geht es dir nicht
gut?“ fragte ich besorgt. Sie sah mich lächelnd an, setzte den
einen Fuß behutsam ab und meinte: „Schau, ein Gänseblümchen.“
Gemeinsam bestaunten wir es, als hätten wir ein Edelweiß mitten in
dem Park entdeckt.
Offene
Augen – verstehst du, was ich meine?
Wie
funktioniert das? Eigentlich ganz einfach. Vergiss erst mal den
Gedanken an Endorphine, also die sogenannten Glückshormone. Dass die
ausgeschüttet werden, können wir mit dem Tempo und der Belastung im
allgemeinen nicht erreichen. Trotzdem haben alle nach unserer 90
minütigen Runde schlichtwegs gute Laune.
Stell
dir deinen Körper vor als einen Topf, in dem Hormone sind. Hormone
regeln weitaus mehr in unserem Leben als Sex. Unser Körper
produziert aktuell die Hormone besonders, die gerade für lebenswichtige
Körperaktionen gebraucht werden. Haben wir nun heftigen und
unangenehmen Stress, stellt der Körper besonders die Hormone bereit,
die wir seit Urzeiten dann ausschütten und die folgendes auslösen:
Das Herz klopft heftiger, der Puls geht hoch, die Atmung verstärkt
sich, die Muskulatur spannt sich. Warum? Weil die Situation zum
Davonlaufen ist. Beine in die Hand und nichts wie weg. So sind wir
gestrickt. Doch was machen wir? Wir sitzen am Telefon, im Auto, beim
Chef oder eben am Chemotropf. Nix mit Wegrennen. Unser Körper läuft
trotzdem auf Hochtouren. Das macht k.o. Und dann legen wir uns abends
„erholsam“ vor einem Krimi im Fernsehen lang, sind so erschöpft.
Klar.
Der
Haken ist, diese Hormone, die das alles anschieben, verbrauchen wir
nicht so, wie wir sie mit dem Davonlaufen abgebaut hätten. Und da
ist der Wurm drin, denn der Topf darf nicht überlaufen – ja wohin
soll`s auch laufen? Das heißt, andere Hormone kommen erst dann
wieder dazu, wenn eben die Wegrenner weg sind. Somit entsteht ein
Ungleichgewicht. Wir haben den Tunnelblick, weil wir den benötigen
zum Davonlaufen- dahin und nur dahin. Und sehen dann eben diese
Gänseblümchen nicht. Schade drum. Und es fehlen die Hormone, die
nun eigentlich besser für uns wären. Irgendwann machen uns
Ungleichgewichte krank. Und Motoren, die man auf Hochtouren laufen
lässt, aber die Bewegung nicht ausführt oder das, was sie
anschieben – das würde niemand seinem Auto antun, aber dem eigenen
Körper mitunter täglich.
Neulich
meinte eine Walkerin: „Gut, dass ich dich am Telefon nicht erreicht
hatte. Ich wollte dir absagen, weil ich von der Arbeit so erschöpft
war.“ Ich hatte sie abgeholt und da konnte sie nicht Nein sagen.
Wir waren vier Kilometer flott unterwegs. „Mir geht es nun viel
besser.“
Ich
tu denn mal so, als ob das an meiner netten Person läge. 😃Dabei liegt
es an dem, dass die Wegrenn-stress-hormone weg sind und die anderen
wieder regieren dürfen.
Ja,
simpel gesagt. Du kannst es dir, so du willst, fachlich super rein im
Internet zusammen suchen. Aber du kannst auch dich damit begnügen,
dass 94 Prozent der Teilnehmer einer Walking- Studie sagten: Es tat
mir gut. Und 82 Prozent weiter machen. (Quelle DWI-Studie, Antonia Bohner) Das deckt
sich absolut mit meinen Erfahrungen seit über acht Jahren: Wer zum
zweiten Male kommt, kommt zu 98% wieder und bleibt lange dabei.
Das
alles liest sich super und vielleicht denkst du, ich werde in meinen
Trainingsgruppen überrannt. Leider ist es nicht so.
Wenn
ich im Chemoraum bin, stelle ich mich vor mit dem Satz: “In dem
Stuhl habe ich 2007 auch gesessen.“ Und dann erzähle ich vom
Nordic Walking – also dem OnkoWalken. Vier Frauen sitzen dort. Es
ist immer das Gleiche. Eine hört gar nicht zu. Die nächste schaut
mich an mit folgendem Text in den Augen: „Du hast `ne Vollmeise,
ich bin krank.“ Die dritte hört zu und entgegnet: „Nun ja, Sie
waren bestimmt immer sportlich.“ Wenn es hoch kommt, ergänzt sie:
„Ich gehe mit Mann/ Hund spazieren.“ Die vierte Frau ist meine
Hoffnung. Die hört zu, stellt Fragen. Doch meist fällt auch ihr ein
Grund ein, weshalb es nicht klappt. Leider.
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