Die Jahreszeiten des Lebens

Viele denken, wir haben nur einen Frühling, einen Sommer, einen Herbst und im Winter dann fällt die Klappe.
Nö.
Wir erleben mehrere davon.
Jetzt wird es gerade wieder Frühling, draußen in der Natur. Ich bilde mir ein, noch niemals die Vögel  so zwitschern gehört zu haben. Wie jedes Frühjahr. 😉

Ich erlebe gerade mal wieder, so vermute ich, ein neues Frühjahr in meinem Leben.
Frühjahr heißt für mich: Erwachen, Erblühen -> es wird froh und hell und doch auch neu.


Wenn wieder eine Frau, es sind bisher nur Frauen, die Krebs hatten/ haben, die zu mir kommen, wenn also wieder eine Frau neu dazu kommt, dann steckt sie meistens ganz tief in einem eiskalten Winter.
Es ist beeindruckend, wenn sie es schafft, wieder in die Frühling hinein zu gelangen. Wenn ich miterleben darf, wie sie ihre Träume behält, wie sie schrittchenweise voran kommt und die Zeit die noch offenen Chemos u.ä. reduziert.
Und dann der erste Trainingstag, an dem sie keine Perücke oder Kopfbedeckung mehr trägt. Das Haar sprießt wie im Frühling das erste Gras.

Irgendwann dann haben wir uns alle an ihre schicke Frisur gewöhnt und nicht mehr vor Augen und in Erinnerung, wie sie mit Glatze oder Perücke aussah. So wie wir im Sommer die grünen Blätter an den Bäumen als total normal ansehen.

Nicht immer bleibt es Frühling und geht dann in einen warmen Sommer. Manche stürzen plötzlich in einen schweren Herbst und bei bisher dreien, die bei mir einst trainierten, ist dann der Winter mit dem Ende gekommen und die Aussicht auf einen Frühling gab es so, wie wir es kennen, nicht mehr.
Als ich eine Frau besuchte und fragte, wie sie diese Zeit ertragen kann, sagte sie leise lächelnd: "Ich weiß, dass es nun soweit ist und es keinen Sinn macht, diesen und jenen Beitrag im Internet zu lesen. Ich lese Liebesromane." In Frieden ging sie dann einen Weg, den wir Lebenden nicht beschreiben können.


Mein Winter , der jetzt wohl sich neigt, war heftig, lang und strapaziös. Tod, Krankheiten in der Familie - das normale Entsetzliche des Lebens - schlugen voll zu. Sie brachten aber auch neues Leben in mein Haus. Und es gibt Situationen, menschengemacht von außen, die mir nur die Richtung Veränderung geöffnet haben.
Doch, weil ich eben weiß, dass wir nicht nur einen Frühling im Leben haben, sehe ich mit Freude die Knospen und mit Optimismus denke ich an die Blüten, die kommen werden und hoffe auf die Früchte, wenn ich das Gießen und Pflegen richtig angehe. Man kann was tot-gießen und kaputt-pflegen. Alles ist die Frage des Maßes.

Ja, Chemo, Strahlentherapie machen wie die OP auch vieles kaputt. Denkt nicht, dass da keine Narben und Schäden geblieben sind. Aber richtig dosiert haben sie Leben gegeben.

Meinem Enkel sage ich oft: "Es hat alles zwei Seiten. Nichts ist nur gut oder nur schlecht. Und absolut nichts ist perfekt." Oma eben. 😊

Es kommt auf den Fokus an, die Blickrichtung. Vielleicht eine seltsame Gedankenverbindung: Aber ich mag diese "neumodischen" Fotografien nicht, die, auf denen jeder Grashalm, jede Linie gleich klar mir entgegen schauen und mich zu erschlagen drohen. Niemals sieht man alles auf einmal und alles gleich scharf. Daher bearbeite ich, seit dem meine Augen offen sind wieder für das, was mich umgibt, meine Fotos per Hand und spiele mit ihnen. Ich will den Fokus finden, zeigen - meinen Fokus.
Bewegungsunschärfe gibt Leben. Denn Leben ist immer Bewegung, niemals Stillstand.

Kontraste machen doch unser Leben aus. Wie wollen wir die Wärme lieben und schätzen, wenn wir die Kälte nicht kennen?

Nun hier ein Frühlingsbild: 
Ich wünsche dir und uns so oft es geht einen herrlichen Frühling - in Jahreszeiten gemessen und in Lebenszyklen gesehen. Ja, davor muss ein Winter sein, aber seien wir doch ehrlich, selbst dann gibt es nicht nur Eiseskälte und graue Tage.

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